KLASSIK
Johannes Brahms
SCHÖNE MAGELONE
Daniel Behle, Sveinung Bjelland, Hans-Jürgen
Schatz
Capriccio/Naxos CD
(141')
Christoph W illib a ld Gluck
OPERA ARIAS
l,]
Daniel Behle, Armonia Atena, George Petrou
Decca/Universal CD
(64')
Für Versuche, die traditionelle Form
des Liederabends aufzubrechen,
kann Johannes Brahms mit sei-
ner „Schönen Magelone“ fast als
Wegbereiter gelten, ist hier doch
ein Wechsel von Gesang und Spra-
che formprägend angelegt. Diese
Methode hat der Bariton Florian
Boesch bei seinem aktuellen Hein-
rich-Heine-Programm, welches mit
von Thomas Quasthoff gesproche-
nen Gedichten angereichert ist,
konzeptionell aufgegriffen. Daniel
Behle bietet „Die schöne Mage-
lone“ einmal in der rein musika-
lischen Abfolge, dann in der Ori-
ginalgestalt mit der ergänzenden
Erzählprosa Ludwig Tiecks. Die-
se Fassung bleibt alleine für das
Handlungsverständnis wohl noch
immer die beste, obwohl der Book-
let-Text etwas anders argumen-
tiert. Übrigens nicht nur, weil ohne
Prosaeinschübe das weitschwei-
fende Geschehen nur schemenhaft
nachvollziehbar bleibt (die Sujet-
vertrautheit früherer Zeiten kann
heute nicht mehr vorausgesetzt
werden), sondern weil der rheto-
rische Wechsel auch starke inter-
pretatorische Reize besitzt.
Überblickt man die gegenwärtig
auf dem Markt befindlichen „Ma-
gelone“-Aufnahmen, so fällt der
große Anteil weiblicher Rezitato-
ren auf (Cornelia Froboess bei Hans
Peter Blochwitz, Annette Prey bei
ihrem Vater Hermann, Inge Borkh
bei Philippe Jarnot). Das dürfte si-
cher nicht die ideale Lösung sein.
Mit Will Quadflieg (bei Wolfgang
Holzmair) und Bruno Ganz (bei Ro-
man Trekel) sind zudem wirklich
klassisch geschulte Sprecher am
Werk. In der Erinnerung des Rezen-
senten haftet darüber hinaus eine
Live-Darbietung mit Gert Westphal
(WDR
1996
, Sänger: Peter Schrei-
er), welcher die romantische Naivi-
Gustav M ahler
SINFONIE NR. 6
Gürzenich-Orchester Köln, Markus Stenz
Oehms/Naxos 2 SACDs
(81)
Ds
|
NEUES AUS
DER
MUSIKWELT
tat der Liebesgeschichte geradezu
ideal traf. Hans-Jürgen Schatz bei
Behle wirkt relativ nüchtern, wobei
man sich den emotionalen Qualitä-
ten seines Sprechens aber zuneh-
mend öffnet.
Ein Bariton wie Fischer-Dieskau
wird immer überzeugend bleiben.
Da die meisten „Magelone“-Lie-
der jedoch aus der Ich-Perspek-
tive von Graf Peter geschrieben
sind, scheint eine Besetzung mit
Tenor immer noch am triftigsten.
Und das vor allem dann, wenn ein
Sänger die sanfte Liebesschwär-
merei („Sind es Freuden“, „Ruhe,
Süßliebchen“) mit einer derartigen
Piano-Qualität realisiert wie Da-
niel Behle, welcher mit seinem ju-
gendlich-kernigen Timbre zugleich
den ritterlichen Charakter der Fi-
gur plastisch umreißt. Sein Gesang
wird durch die facettenreiche Be-
gleitung von Sveinung Bjelland
nachhaltig unterstützt. Zusätzliche
Brahms-Lieder führen auf die „Ma-
gelone“-Welt stimmig ein.
Neben Richard Strauss ist an-
no
2014
ein weiterer Jubilar zu fei-
ern: Christoph Willibald Gluck. Da-
niel Behle bietet eine Arien-Aus-
wahl vor allem aus unbekannten
Bühnenwerken und macht nach
diversen Lied-CDs damit auch als
Opernsänger auf sich aufmerksam.
Begleitet wird der von dem immer
stärker in den Blickpunkt gera-
tenden Orchester Armonia Atena,
welches George Petrou mit star-
ker emotionaler Expression lei-
tet. Gleich die Arie aus „Antigo-
no“ (
1756
) zeigt, dass der Kom-
ponist selbst auf dem (vor allem
durch den Textdichter Metastasio
geprägten) Seria-Terrain, aus dem
er sich später mehr und mehr ent-
fernte, äußerst inspirierte Musik
zu schreiben imstande war. Die
horn-dominant instrumentierte
Szene mit ihren heroischen Auf-
schwüngen sollte nach dieser Erst-
einspielung eigentlich zum Reper-
toire-Hit werden.
Behles hell-maskuliner Tenor,
sattelfest bei Trillern und Stacca-
ti, klangsicher in Höhe wie Tiefe,
interpretiert stilversiert, gleich-
zeitig mit eminent theatralischem
Instinkt. Orfeos „J’ai perdu“ ist bei
ihm wirklich ein seelisches Drama
und Konkurrenz zu den eher fragi-
len Interpretationen von Simoneau
und Gedda.
Christoph Zimmermann
MUSIK (BEIDE) ★ ★
KLANG (BEIDE) ★ ★
Mahlers „tragische“ Sinfonie ist ein
janusköpfiges Werk: einerseits ein
Tanz auf dem Vulkan mit perma-
nenten Stimmungswechseln und
Abgründen, wie sie sich tiefer in
kaum einer Partitur des Komponis-
ten finden, andererseits von gera-
dezu beängstigender Zielstrebig-
keit und dabei mehr als jede ande-
re Mahler-Sinfonie dem Muster der
klassischen Viersätzigkeit entspre-
chend. Markus Stenz wird in seiner
Einspielung beiden Aspekten der
Sechsten gerecht - und dies auf
größtenteils imponierende Weise.
Während des eher zurückhaltend
und gemessen gestalteten ersten
Satzes glaubt man noch, Zeuge ei-
ner insgesamt bedächtigen Inter-
pretation mit gebremstem Schaum
Igor Strawinski
OEDIPUS REX, APOLLON MUSAGETE
Fanny Ardant, Jennifer Johnston u. a., Monteverdi
Choir, London Symphony Orchestra, John Eliot
Gardiner
LSO/Note 1
SACD___________________ (79]
Strawinskis szenisches Orato-
rium „Oedipus Rex“ und das Bal-
lett „Apollon musagete“ für Strei-
cher sind Hauptwerke des Neo-
klassizismus, die seine Extreme
gewissermaßen abstecken. Das
Oratorium ist ein hybrides Werk.
Der von Cocteau auf Französisch
verfasste Text über die allbekann-
te griechische Heroensage wur-
de ins Lateinische übersetzt und
durch die Handlung erläuternde,
französisch (oder in der jeweiligen
Landessprache) gesprochene Zwi-
schentexte ergänzt. Musikalisch
orientiert sich Strawinski jedoch
unverkennbar an Verdi. Und mit
dem Ballett für Streichorchester
zu werden, doch dieser Eindruck
wandelt sich rasch: zuerst im eben-
so innig wie unsentimental intonier-
ten Andante, dann im Scherzo, des-
sen nicht leicht einzufangende Phy-
siognomie von Stenz ohne Übertrei-
bung, doch mit der gehörigen bissi-
gen Mokanz nachgezeichnet wird.
Das Finale ist dann vom ersten Takt
an mit berstender Spannung erfüllt,
die bis zum Schluss nicht nachlässt
- bei mustergültiger Nachzeichnung
der gigantischen Architektur.
Die Klangtechnik verbringt hier
wahre Wunder - bis hin zu den mes-
serscharf eingefangenen Hammer-
schlägen. Aufregender und gleich-
zeitig unerbittlicher war der Satz
seit Langem nicht mehr zu hören.
Dies ist eine der überzeugendsten
Folgen von Stenz’ Kölner Mahler-
Zyklus, wenn nicht die beste über-
haupt! Schade nur, dass die beiden
Binnensätze auf zwei SACDs ver-
teilt wurden: Wer das Scherzo lie-
ber an zweiter Stelle hören möch-
te (wie es früher üblich war), muss
insgesamt dreimal zum Player lau-
fen und wechseln.
Thomas Schulz
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
verblüffte er in einer Zeit, als ge-
meinhin Partituren vor allem mit
Bläsern besetzt wurden und Kom-
ponisten das Schlagzeug eman-
zipierten.
John Eliot Gardiner trifft den Ton
beider Werke gleich gut. Das Ora-
torium besitzt Wucht und Monu-
mentalität durch das absichtsvol-
le Vermeiden von Emotionalität.
Gardiner stellt, vorzüglich unter-
stützt von den Solisten und dem
Männerchor, Affekte aus; er fühlt
sich nicht in die Musik ein, son-
dern er präsentiert, zeigt auf, re-
feriert oder objektiviert. Die spie-
lerische Eleganz der von den Strei-
chern des London Symphony Or-
chestra bestechend gespielten
Ballettmusik ergibt sich aus der
ungewöhnlich transparenten Ar-
tikulation des dichten Tonsatzes
- keine Kleinigkeit bei der chori-
schen Besetzung. Das Stimmen-
geflecht bleibt stets deutlich struk-
turiert und artikuliert, so dass die
Musik insgesamt vielschichtiger
ausgearbeitet wirkt, als man es
gewohnt war.
Giselher Schubert
MUSIK ★ ★
KLANG ★ ★
134 STEREO 8/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht
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